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Jüdisches Museum Berlin braucht neue gesetzliche Vorgaben

Das Museum sollte kein Nebenschauplatz des Nahostkonflikts und keine Forschungseinrichtung sein.

Die Amsterdamer Kulturhistorikerin Hetty Berg übernimmt die Leitung des Jüdischen Museums Berlin. Aus diesem Anlass fragt die Süddeutsche Zeitung: Welche Aufgabe hat ein Jüdisches Museum in Deutschland?

Michael Wolffsohn:

Was soll ein Jüdisches Museum in Deutschland, in Berlin, leisten? Die Frage ist falsch gestellt, denn sie zielt vor allem auf die Leitung des Hauses. Das Jüdische Museum Berlin und dessen Leitung kann nur leisten, was sie gemäß gesetzlichen Vorgaben leisten darf. Das am 16. August 2001 vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Errichtung einer „Stiftung Jüdisches Museum Berlin“ macht es zu einer „bundesunmittelbaren Stiftung“ und damit zu dem auf Deutschjüdisches bezogenen Deutschen Nationalmuseum. Im Klartext: Das erste und letzte Wort hat „die“ Politik. Wenn und wann die Museumsleitung der politischen Mehrheit missfällt, wird sie entlassen. Der Fall Peter Schäfers lieferte Anschauungsunterricht.

Was „Zweck“ dieses Deutschen Nationalmuseums zu sein hat, bestimmt Paragraf 2 jenes Gesetzes: „Jüdisches Leben in Berlin und Deutschland, die von hier ausgehenden Einflüsse auf das europäische und das außereuropäische Ausland sowie die Wechselbeziehungen zwischen jüdischer und nichtjüdischer Kultur zu erforschen und darzustellen sowie einen Ort der Begegnung zu schaffen.“ Das Jüdische Museum in Berlin ist kein Museum von, für oder ganz allgemein über Juden – oder gar über Israel und den Nahostkonflikt. Unabhängig von ihrem politischen Inhalt war daher die Jerusalem-Ausstellung, die im Mai vergangenen Jahres endete, ein Verstoß gegen den Stiftungszweck; Jerusalem ist nicht Berlin, dessen jüdisches Leben dargestellt werden soll. Die amtlichdeutsche Position hierzu vertritt kein Deutsches Nationalmuseum, sondern die Bundesregierung. Wer ein Museum über jüdisches Leben in Berlin und Deutschland zu einem, wenngleich gewaltfrei gedanklichen Nebenschauplatz des Nahostkonflikts umfunktioniert, darf sich nicht wundern, wenn sich alle Nahostakteure einmischen. Konkret: dass die antizionistische BDS-Israelboykottbewegung das Museum unterwandert oder US-jüdische Repräsentanten sowie Israels Premier Netanjahu ihrerseits offen und öffentlich Kritik äußern.

Nicht nur in Deutschland nicht hinnehmbar ist ein Jüdisches Museum, wenn es national und international von Juden als ein Museum gegen Juden wahrgenommen wird. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass und wenn, wie geschehen, national- oder internationaljüdische Gruppen gegen andere jüdische Gruppen als Alibi mobilisiert werden. Widersinnig ist die Vorgabe des Gesetzgebers oder der Politik, das Berliner Museum solle eine Forschungseinrichtung sein. Das ist Aufgabe
der Fachdisziplinen an Universitäten.

Mit der Errichtung seiner Akademie – eine Idee von Gründungsdirektor Michael Blumenthal – hat sich das Museum vollends überhoben. Das gilt erst recht für ihr Programm mit den Schwerpunkten Migration und Jüdisch-Islamisches Forum. Erstens gibt es zahlreiche andere, teils vorzügliche Foren und Akademien mit ähnlichen Angeboten und bald auch eine jüdische. Zweitens führt der Import gesamtgesellschaftlich polarisierender Themen in eine Institution zur möglicherweise existenzgefährdenden Polarisierung der  Institution.

Um das Jüdische Museum Berlin zu retten, bedarf es neuer, jenseits der üblichen Phrasen durchdachter, gesetzlicher Vorgaben. Deutschjüdisches Leben war stets weltweit vernetzt, aber kein Museum kann zugleich Deutschland, Nahost oder die ganze Welt darstellen oder gar erforschen.

(Süddeutsche Zeitung vom 1. April 2020, Feuilleton, Seite 9)