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Israel - die Lebensversicherung für jeden Juden

"Freude und Dankbarkeit" empfindet Michael Wolffsohn zum 70. Jahrestag der Gründung Israels. Der eigene Staat sei für jeden Juden eine Lebensversicherung.

Interview mit dem Münchner Merkur am 19. April 2018:

"Die Lebensversicherung für jeden Juden"

Mehr als drei Jahrzehnte lehrte der Historiker Michael Wolffsohn, 70, als Professor an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Als Buchautor veröffentlichte er zuletzt seine Autobiografie „Deutschjüdische Glückskinder, Eine Weltgeschichte meiner Familie“. Sein Buch „Wem gehört das Heilige Land?“ gilt als Standardwerk. Zur Welt kam Wolffsohn im heutigen Israel.

Herr Wolffsohn, Ihre Familie ist 1939 aus Nazi-Deutschland nach Palästina geflohen. 1947, ein Jahr vor der Staatsgründung Israels, kamen Sie dort zur Welt. Was bedeutet der 70. Geburtstag dieses Landes für Sie?

Ich empfinde Freude und Dankbarkeit dafür, dass es zum ersten Mal seit der Zerstörung des jüdischen Staatswesens im Jahre 70 nach Christus im Fall der Fälle wieder einen sicheren Ort für Juden gibt. Israel ist für jeden Juden Lebensversicherung.

Sie selbst erlebten Ihre frühe Kindheit in Israel. Haben Sie an diese Zeit noch Erinnerungen?

Oh ja. Sehr viele und sehr schöne. Ich wurde zweisprachig erzogen. Daheim sprachen wir Deutsch, Hebräisch habe ich auf der Straße gelernt. Dazu muss man wissen: Außerhalb unserer eigenen vier Wände war Deutsch – die Sprache der Nazis – weitgehend tabu. Unsere Familie hat aber immer zwei Deutschlands gesehen. Das dunkle und das helle. Es bedurfte damals eines starken Selbstbewusstseins, um sich gegen die gängige Meinung in Israel zu stellen. Wer Deutsch sprach, konnte dafür mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft werden. Ich schätze diese weltoffene Sicht meiner Eltern und Großeltern im Nachhinein noch mehr als damals.

1954 kehrte Ihre Familie nach Deutschland zurück.

Meine väterlichen Großeltern schon 1949. Die neue deutsche Welt hat mir von Anfang an gefallen. Ich lebte in Westberlin. Obwohl das Wirtschaftswunder noch bevorstand, war die Bundesrepublik im Vergleich zum deutlich ärmeren Israel für mich ein Schlaraffenland. Ich wurde in der Schule freundlich aufgenommen und bin damals nie Antisemitismus begegnet. Schwerer war die Rückkehr für meine Eltern und Großeltern. Sie kamen nach Deutschland, um das, was ihnen geraubt wurde, zurückzubekommen. Das gelang nur zu einem Bruchteil.

Trotz Ihrer engen Bindung an Deutschland leisteten Sie später Ihren Wehrdienst in Israel. Warum?

Nun, ich war von Geburt an Israeli. Gleichzeitig hatte ich auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Aus israelischer Sicht war ich aber wehrpflichtig. Natürlich hätte ich einfach in Berlin bleiben können, aber ich wollte auch klären, wo ich einmal leben will. Dazu kam, dass es 1967 eine enorm starke gesamtjüdische Solidarität für Israel gab. Vor dem Junikrieg schien ein zweiter Holocaust durch die ägyptischen, syrischen und jordanischen Streitkräfte zu drohen. Danach die Riesenerleichterung. Sieg statt Vernichtung.

Ihre dreijährige Militär-Zeit begann 1967, nur wenige Monate nach Israels Sechs-Tage-Krieg gegen die Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien, Syrien und Libanon. Wie war diese Zeit für Sie?

Es war eine sehr harte Zeit, aber auch eine sehr lehrreiche. Zuerst war ich in Ramallah stationiert, wo heute die palästinensische Regierung sitzt. An Kampfhandlungen war ich zwar selbst nie beteiligt. Im Gesamtzusammenhang aber war es eine kriegerische Zeit. Ägypten begann den Abnutzungskrieg am Suez-Kanal. Es gab die terroristischen PLO-Überfälle auf Israel, auch außerhalb. Und immer wieder Gefechte auf den Golan-Höhen und im Libanon. Gleichzeitig habe ich in diesen Jahren Land und Leute kennengelernt. Vom Präsidenten bis zum Analphabeten. Ich habe damals gemerkt, dass ich viel deutscher war, als ich selber gedacht hatte.

Inwiefern?

Es ging um Sprache, auch Umgangsformen. Der Duft des Alltags, wenn Sie so wollen. Und wenn man – wie ich – in Nachkriegsdeutschland erzogen wurde, mochte man es auch lieber etwas zurückhaltender, wenn es um nationalstaatliche Gefühle ging. Dazu kam: Israel war damals noch weitgehend osteuropäisch geprägt. Dagegen hatte ich nichts, die westeuropäische, besonders die deutsche Kultur war mir aber näher. Deshalb bin ich nach Deutschland zurückgekehrt.

Wie hat sich Israel seither entwickelt?

Das Land hat sich gemeinsam mit seinen Menschen verändert. Die afro-asiatisch-jüdische Bevölkerung hat sich bis zur Einwanderung der sowjetischen Juden seit den frühen 90ern allmählich zur Mehrheit entwickelt. Für westeuropäische Juden ist die Eingewöhnung also eher schwerer geworden. Ohnehin sind die europäischen Wurzeln über die Generationen weiter in die Ferne gerückt. Durch die permanente Terror- und Kriegsgefahr ist die jüdische Bevölkerung weniger kompromissbereit geworden. Auch weil die Gebietsverzichte 1993 an die Palästinenser, 2000 im Libanon und 2005 im Gazastreifen zu nichts geführt haben. Das israelische Friedenslager wurde immer wieder widerlegt. Die Formel „Land für Frieden“ ist mit den Palästinensern nie aufgegangen. Es gab immer neue Raketen und mehr Terror. Das hat zu einer Verhärtung der Menschen geführt.

Heute steht Israel am Rande eines neuen Krieges. Der Konflikt mit dem Iran spitzt sich zu. Für wie groß halten Sie die Gefahr?

Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Eskalation zwischen Israel und dem Iran kommen. Auch die amerikanischen Angriffe in Syrien auf die vom Iran unterstützten Assad-Truppen sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Am 12. Mai wird die amerikanische Regierung darüber entscheiden, ob das Atomabkommen mit dem Iran verlängert wird. Washington und sogar seine westlichen Partner wollen dabei zwei entscheidende Lücken im Abkommen schließen, nämlich bezüglich der Weiterentwicklung iranischer Raketen und der Kontrollen der Atomanlagen. Lässt sich der Iran darauf nicht ein, wird es zur Eskalation mit Israel kommen. Doch selbst wenn der Iran hier Zugeständnisse macht, bleibt immer noch das Problem seiner Militärpräsenz im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen.

Sie glauben also, es wird Krieg geben, wenn der Iran nicht in all diesen Punkten nachgibt?

Realistischer ist heutzutage eher eine an- und abschwellende Mischung aus Krieg, Sabotage, Sanktionen und Terror.

Trotz der vielen Bedrohungen wird dieser Tage in Israel ausgelassen gefeiert.

Nicht trotz der Bedrohungen, sondern gerade deshalb. Es gibt kaum eine Stadt, die so lebensprall ist wie Tel Aviv. Das ist dem Gefühl geschuldet, das Leben genießen zu müssen, weil niemand weiß, was in der nächsten Minute passiert. Dieses Gefühl war in Israel immer kennzeichnend und gehört zur jüdischen Tradition. Die Lebensfreude existiert neben der permanenten Sorge ums individuelle und kollektive Überleben.

Sie selbst haben jüngst auch Sorge um die Juden in Europa geäußert.

Ja. Wer hätte gedacht, dass es für Juden eines Tages wieder ein Problem sein könnte, im immer so liberalen Berlin mit einer Kippa oder einem Davidstern als Jude erkennbar zu sein? Heute ist das so. Erst recht in Frankreich.

Was ist der Grund dafür?

Die Konflikte aus dem Nahen Osten wurden durch die millionenfache Zuwanderung aus islamischen Staaten nach Westeuropa und Deutschland importiert. Dazu kommt ein traditioneller Anti-Judaismus im Islam. Die Gefahr, hierzulande als Jude Opfer muslimischer Übergriffe zu werden, ist deutlich größer geworden. Und sie ist etwa in Berlin größer als in München. Hier hat die Polizei nämlich politische und gesellschaftliche Rückendeckung.

Kennen Sie Juden, die Europa deshalb den Rücken kehren und nach Israel auswandern?

Ja.

Haben Sie selbst darüber nachgedacht?

Ja und nein. Getan habe ich es jedenfalls nicht. Und ich werde es auch nicht tun. Ich bin nicht mehr 20, sondern 35 plus x.

Interview: Sebastian Horsch
(Münchner Merkur / Oberbayerisches Volksblatt)