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Ein streitbarer deutsch-jüdischer Patriot

Sein Lebensmotto - erkennen, benennen, bekennen - ist bei ihm Programm. Das, was er für Unrecht und Unsinn hält, treibt Wolffsohn um. Der Tagesspiegel zum 70. Geburtstag.

Ein streitbarer deutsch-jüdischer Patriot
Der Historiker Michael Wolffsohn feiert seinen 70.

Viele deutsche Professoren fühlen sich im akademischen Elfenbeinturm recht wohl. Fernab der oft aufgeregten Öffentlichkeit und ihrer stürmischen wie rauen Debatten wird eine Menge geforscht und ein wenig gelehrt. Michael Wolffsohn ist von anderem Kaliber. Gleichermaßen eloquent und provokant gehört der Historiker und Publizist, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, zum festen Inventar des Talkshow-Betriebs, ist ein gefragter Interview-Partner und Analyst des Weltgeschehens.

Sein Lebensmotto - erkennen, benennen, bekennen - ist bei ihm Programm. Das, was er für Unrecht und Unsinn hält, treibt Wolffsohn um. Dann kann der deutsch-jüdische Patriot (wie er sich einmal selbst nannte) - Dickkopf, der er ist - nicht an sich halten und macht sich auch mal unbeliebt. Dass diese Chuzpe mit Risiken verbunden ist, das weiß Wolffsohn sehr wohl. Das scharfzüngige Bekennen und Beharren hätte ihn allerdings fast den Job gekostet. Im Mai 2004 hatte Wolffsohn in einer Fernsehsendung sinngemäß gesagt, mit Gentleman-Methoden könne man Terrorismus nicht erfolgreich bekämpfen. Er halte daher Folter oder die Androhung von Folter in extremen Situationen für legitim. Ein Sturm der Empörung brach los. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck warf als Dienstherr dem Hochschullehrer vor, dem Ansehen der Bundeswehr geschadet zu haben. Wolffsohn wiederum sah sich einer „Hetzjagd“ ausgesetzt und wies darauf hin, dass er Folter selbstverständlich für illegal halte, sie sei aber unter bestimmten Umständen legitim, also vertretbar.

Ein Jahr später geriet Wolffsohn erneut in die Bredouille. Franz Müntefering hatte international agierende Investment-Gesellschaften mit Heuschrecken verglichen. Wolffsohn warf dem SPD-Chef daraufhin vor, mit dem Tiervergleich gegen Finanzinvestoren zu hetzen wie einst die Nazis gegen die Juden. Einige Politiker forderten umgehend ein dienstrechtliches Vorgehen gegen Wolffsohn. Doch daraus wurde nichts. Der Historiker blieb bis zu seiner Emeritierung 2012 Dozent an der Bundeswehr-Universität.

Doch Wolffsohn ist nicht nur ein streitbarer Bürger, sondern auch so etwas wie ein Mäzen. Und das hat mit seiner Familiengeschichte zu tun, die eng mit dem düsteren Teil der deutsch-jüdischen Vergangenheit verbunden ist. Michael Wolffsohn wurde am 17. Mai 1947 in Tel Aviv als Sohn eines Emigranten-Ehepaars geboren. Die Familie war 1939 vor den Nazis nach Palästina geflohen. 15 Jahre später kehrten sie nach Deutschland zurück. Zuvor war schon Großvater Karl - ein berühmter deutscher Verleger und Kinopionier - wieder in seine alte Heimat gezogen, um sein von den Nationalsozialisten enteignetes Eigentum einzufordern. Dazu gehörte die Gartenstadt Atlantic im Berliner Wedding, eine in den 1920er Jahren als Reformprojekt konzipierte Anlage, die Wohnen, Natur und Kultur vereinen sollte. Enkel Michael erbte die fast 50 denkmalgeschützten Häuser am Bahnhof Gesundbrunnen und ließ sie zwischen 2001 und 2005 aufwendig sanieren.

Kein Wunder, dass das deutsch-jüdische Verhältnis ein Lebensthema Wolffsohns ist. Soeben ist sein Buch „Deutschjüdische Glückskinder“ erschienen, eine „Weltgeschichte meiner Familie“, wie es stolz im Untertitel heißt. Auch Israel fühlt er sich verbunden. Dort diente er zwischen 1967 und 1970 freiwillig in der Armee. Dass er mit seinen Beiträgen etwa zum Nahostkonflikt immer wieder Kontroversen auslöst, stört ihn nicht - er schätzt die Aufmerksamkeit. Am heutigen Mittwoch bleibt die Öffentlichkeit aber außen vor. Wolffsohn feiert mit Frau Rita und den Kindern bei einem guten Essen. Masel tov!

Christian Böhme

Der Tagesspiegel vom 17. Mai 2017