Das Deutschlandlied als "Nazitext" und andere Schnitzer

Historische Fakten bleiben Fakten – auch in Romanen. Anmerkungen zur fiktiven Erzählung Kairos von Jenny Erpenbeck.

Offener Brief an Rebecca Prager, Leiterin Unternehmenskommunikation der Verlagsgruppe Penguin Random House:

Sehr geehrte Frau Prager,

als Historiker (der freilich gerne und viele Romane liest) wage ich keine literarische Kritik. Noch weniger, gar nicht, wenn ein Roman fast jeden erdenklichen Preis erhalten hat. Wie KAIROS. Sogar international.

Ja, ich war – zumal nach den zahlreichen Hymen – enttäuscht, aber das ist eine andere Geschichte.

Auch bei Fiction sollten Fakten gelten, wenn von Fakten die Rede ist. Autoren und notfalls Lektoren sollten diese vor der Drucklegung prüfen. Das ist bei KAIROS nur unzureichend geschehen.

Beispiele:

S. 55 Basiswissen:  Pariser Verträge 1954, nicht 1952. Frau Erpenbeck meint die Stalin-Note von 1952. Die Inhalte der Stalin-Note und der Pariser Verträge werden bei Frau Erpenbeck vermischt. Klar, ein Roman ist kein Geschichtsbuch. Klar auch, was Frau Erpenbeck meint. Aber genau das lässt sich mühelos durch Fakten ausdrücken.

S. 58 Deutschlandlied als "Nazitext". Hoffmann von Fallersleben, 1798 – 1874. Ich gestehe: Nur Strophe drei ist erträglich. Das macht aus 1 und 2 trotzdem keinen „Nazitext“.

S. 101ff  K's Westbesuch: Sie geht in den Sexshop und hat nun vom Westen „genug gesehen“. Sexshops, ja, widerlich. Aber das als Begründung für das Genug bezüglich des Westens? Dünne Suppe.

S. 202 Stalin sei im Februar 53 gestorben. O je, o je, am 5. März.

Wenn Geschichtliches in Roman-Geschichten erwähnt wird, muss das Geschichtliche stimmen.

Nochmals: Ich maße mir kein fachgerechtes literarisches Urteil an, aber historische Fakten bleiben auch in fiktiven Erzählungen Fakten.

Gute Grüße
Michael Wolffsohn

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