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Wolffsohn entzieht sich jeder Vereinnahmung konsequent und dickköpfig. Er mag das nicht, das »diplomatische Ver- und Übermitteln oder das verdeckende Überzuckern«, er ist weder Befehlsempfänger noch Diplomat sondern Professor geworden, weil das von "profiteri" komme - von "Bekennen".

Cora Stephan in der "Welt"

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Kein Wunder, dass kaum noch jemand zuhört

Michael Wolffsohn kritisiert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die "immergleichen Worte" in Yad Vashem.

Interview der Passauer Neuen Presse vom 24. Januar 2020:

Der Bundespräsident hat beim Holocaust-Forum zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren in Yad Vashem als erstes deutsches Staatsoberhaupt eine Rede gehalten. Ein Geschenk und eine Gnade wie er gesagt hat?

Michael Wolffsohn: Weder noch und wieder zu viele große Worte. Das gilt für die gesprochenen Worte sowie für die Körpersprache nicht nur des Bundespräsidenten beim Reden. Es sind zudem die immergleichen Worte, also deren Inflationierung. Damit werden sie wertlos. Kein Wunder, dass kaum noch jemand zuhört.

Yad Vashem soll den Opfern ein Denkmal sein und einen Namen geben. Doch gibt es immer weniger Zeitzeugen. Wie lässt sich die Erinnerung wachhalten?

Wolffsohn: Gegenfrage: Gibt es für die Ermordung von Caesar im Jahre 44 vor Christus Zeitzeugen oder für die Kreuzzüge im Mittelalter? Nein. Aber es gibt die Erinnerung durch Wissen. Historisches Wissen ist nicht von Zeitzeugen abhängig, sondern von der Geschichtsvermittlung. Vor allem von Schule, Universität und Medien.

40 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland wissen nicht, was Auschwitz gewesen ist. Wären hier nicht Schule und Eltern stärker gefordert?

Wolffsohn: In Frankreich sind es sogar 57 Prozent. Bei derselben, von Ihnen genannten Umfrage schneidet Deutschland nicht gut ab, doch besser als viele andere. Trotzdem: Nicht nur Schule und Eltern müssen neue Wege finden. Auch Politiker. Siehe Bundespräsident. Nicht zu vergessen: die Medien. Bitte mehr Selbstkritik und weniger mit Steinen aus dem Glashaus werfen.

Was meinen Sie konkret, wenn Sie kritisieren, das Gedenken gehe an der Bevölkerung vorbei?

Wolffsohn: Punkt Eins: Siehe oben, Stichwort Bundespräsident. Er ist dabei nur einer von vielen. Punkt Zwei: Rund ein Viertel der Deutschen haben Migrationshintergrund. Viele sind Muslime. Die bisherige Gedenkkultur Deutschlands richtet sich nur an die Nachfahren der Deutschen, die das NS-Regime miterlebt, getragen und ertragen haben. Als ob etwa die muslimische Welt beim Judenmorden und im Zweiten Weltkrieg nicht mit den Hitler-Banden zusammengearbeitet hätte. Weil kaum jemand diese Tatsachen anspricht, meinen deutsche Muslime zurecht, das alles gehe sie nichts an. Das ist, wie gesagt, falsch. Neue Deutsche, das bedeutet auch die Notwendigkeit einer neuen Gedenkkultur, neuer Inhalte, basierend auf Fakten. Auch so gesehen gehen die schönen Steinmeier-Worte an vielen vorbei.

75 Jahre nach Auschwitz gibt es ein hohes Maß an Antisemitismus und rechter Gewalt in Deutschland. Wie ist das zu erklären?

Wolffsohn: Dass es eben nicht nur den alten und neuen, immer antijüdischen Rechtsextremismus gibt, sondern auch antisemitischen Linksextremismus und antisemitische Muslime. Letztere können sich auf die religiöse Rechtfertigung des Judenhasses im Koran, der Sunna und der Mohammed-Biografien berufen. Nicht zu vergessen: Der Kampf gegen den Jüdischen Staat. Diasporajuden werden, Hand aufs Herz, nicht nur von militanten Antisemiten aller Färbungen als verlängerter Arm Israels betrachtet. Und Israel ist unbeliebt.

Welchen Anteil hat die AfD an dieser Entwicklung, die etwa das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein „Denkmal der Schande“ nennt?

Wolffsohn: Dieses und ähnliche Argumente, besser: Fakten sind ein willkommenes Alibi, um Antisemitismus nur der alten und neuen Rechten zuzuordnen. Tatsächlich gibt es drei Hauptquellen des Antisemitismus: Rechts, links, muslimisch.

Interview: Andreas Herholz

Das Interview als PDF

Zusammenfassung des Interviews auf Welt.de